Massive Weltbank-Kritik ‚Vertreibung auf Kredit‘;  Selbsterkenntnis ohne Besserung?  

Seit Monaten finden sich immer wieder sehr kritische Artikel zur Weltbank in den Medien, die in Kooperation mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und Menschenrechtsorganisationen lanciert werden, in  Deutschland von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, wobei auch KfW und Tochter DEG sowie die Bundesregierung angeprangert werden. Grundlage sind nicht vertrauliche Dokumente aus der Weltbank, in der die eigenen Organe die Fehler aufdecken. Der Präsident der Weltbank zeigte sich sehr selbstkritisch.  Wenn schon die interne Überwachung vorhanden ist  und weitere Besserung gelobt wird, wozu ziehen Medien und Menschenrechts-Organisationen diese öffentliche Kritik jetzt so massiv auf?  Anscheinend klafft immer noch eine große Lücke zwischen sozialem Anspruch und der Wirklichkeit und es steht zu befürchten, dass sich das trotz guter Absichten der Leitung nicht ändern wird.

Die am International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) beteiligten Medien haben seit Jahresanfang nach und nach aufwändige Berichte über frühere und laufende Projekte der Weltbank-Gruppe, in deren Folge Menschen ihre Lebensgrundlagen verloren haben, an die Öffentlichkeit gebracht, plus Analysen,  Kommentare und daran angeknüpfte Forderungen.  ICIJ und Huffingon Post bringen die englische Fassung (hier und hier). Die beteiligten deutschen Medien Süddeutsche Zeitung , WDR und NDR räumen der Sache sehr viel Platz ein, und werfen kritische Schlaglichter auf KfW- und Tochtergesellschaft DEG-Projekte  sowie auf die Bundesregierung. Für Deutschland bietet WDR eine eigene webpage; mit Multimedia-reportage, Ton-Feature, Daten und verschiedenen Artikeln  ähnlich  NDR hier  und SZ (hier).

 

Die eindrucksvolle Multi Media Reportagen  (gute Stories mit individuellen Schicksalen,  professionellen Nah-Bildern) basieren auf  öffentlich zugänglichen Weltbank-Dokumenten,  Informationen und  Hinweise von Nichtregierungs-Menschenrechts-Organisationen, und  vor-Ort- Recherchen an ausgewählten Standorten und bei  Betroffenen, ergänzt um Hintergrundinformationen, Einschätzungen  der Organisationen, Meinungen von Kritikern, auch Interviews,   Kommentaren und Forderungen.  Sie enthalten schon Reaktionen der Weltbank-Gruppe, vor allem ein Besserungs-Gelöbnis des Weltbank Präsidenten.

 

Die Bundesregierung, BMZ, als Anteilseigner und mit gewichtigem Stimmrecht im Direktorium der Weltbank wird dafür kritisiert,  dass sie fast immer den Projekt-Vorschlägen  zustimmt,  und für die Beteiligungen der KfW sowie DEG als ihre Durchführungs-organisationen.  Wie die Weltbank gelobt auch KfW, die Kritik ernst zu nehmen.   Auch BMZ antwortet eher verhalten.  Scharfe Kommentare kommen von der Opposition.  In Deutschland nimmt die NGO Urgewald (hier) eine Schlüsselrolle ein und trägt weitere Kritik und Forderungen zur besseren Berücksichtigung der sozialen Folgen in der  deutsche finanzielle Zusammenarbeit bei.

 

Die  Kritik setzt an den sozialen Folgen einer Reihe von Projekten an, direkte Vertreibung oder Vernichtung der Existenzgrundlagen durch Vergiftung des Wassers oder andere Umwelt-Beeinträchtigung. Die implizierte Kritik an kreditnehmenden Ländern und Unternehmen ist, dass Lebensgrundlagen  der Bewohner von Gebieten im Einflussberich von Projekten beeinträchtigt werden und Schlimmeres, auch bei Umsiedlungen, die zu Vertreibungen werden. Das ist dann besonders gravierend, wenn die Betroffenen politisch, religiös, ethnisch oder sozial ohnehin benachteiligten Bevölkerunsgruppen angehören.   Die Kritik an WBG und Ko-Finanzierern  richtet sich darauf, sich nicht entscheidend dagegen durchzusetzen und so etwas zu verhindern. Diese möglichen negativen sozialen Folgen waren in der Regel  bereits in der Vorbereitung der Bergbau-, Kraftwerks-, Infrastruktur-, Landwirtschafts-, oder Stadtwentwicklungsprojekte schon identifiziert und gewisse Vorkehrungen (safeguard) zum Schutz  oder Kompensation getroffen.  Diese waren aber vielfach nicht effektiv. Kritik richtet sich an die WB Gruppe und ihren private Arm IFC (ähnlich an KfW und DEG), dass sie die Kreditnehmer nicht dazu gebracht haben, die zugesagten Maßnahmen wirklich zu treffen, oder sich mit fehlerhaften herunterspielenden  Wirkungsanalysen haben abspeisen  lassen.  Abandoned‘ -  ihrem Schicksal überlassen,  ist der Hauptvorwurf an die Entwicklungsbanken. 

 

Die dargestellten Fälle werden als Beispiele  "für Hunderte Projekte in den vergangenen zehn Jahren genommen" , in denen  "offenbar mehrere Millionen Menschen umgesiedelt und teils gewaltsam vertrieben…. [und]  die Vorgaben der Weltbank in einer Vielzahl von Projekten nicht eingehalten [wurden].“ (Zitat SZ ) Die ausgewählten Fälle stammen aus  allen Projektregionen: Lateinamerika, Afrika, Asien und auch Südost-europa. Auch werden Projekte der verschiedenen Arme der Weltbank-Gruppe einbezogen, IFC, IBRD und IDA.

 

Die Kampagne zielt sichtlich auf die Öffentlichkeit und damit indirekt auf Entscheidungsträger, die Einfluss auf die Entwicklungsbanken haben. Nicht die Kreditnehmer (Unternehmen, Gebietskörperschaften, öffentliche Einrichtungen, staatlichen Agenturen)  und  staatlichen Garanten werden angeprangert, sondern Organe, die auf die Kreditvergabe und die Umsetzung Einfluss haben. Da die Anteilseigner USA und Deutschland im Direktorium starkes Gewicht haben, und die EZ-Organisationen USAID, KfW und DEG vielfach mit der WB-Gruppe in Projekten kooperieren, soll hier speziell mehr Druck aufgebaut werden. 

 

Das  kampagnenhafte massive abgestimmte Vorgehen auf der Basis von weltbank-eigenen Dokumenten, ohne offizielle Gegenwehr  vor allem verschiedenen  -Präsidenten verwundert zunächst einmal.  Von den direkt angesprochenen, der Leitung der Weltbank und der KfW sowie auch aus dem Ministerium kommt wenig Ab- oder Gegenwehr, sondern Besserungs-Gelöbnis. Es sieht fast so aus, als ob diese Eingeständnisse Teil der Initiative sind und von der Kampagne unterstützt werden sollen. Rennt  die Kampagne  also nur offene Türen ein? Oder sind die Leitungen der WB und der KfW gar nicht das Problem? Gibt es andere Umstände und Widerstände, die selbst den Gutwilligen in Führungspositionen die Verbesserungen schwer machen?  Warum wird diese Kampagne jetzt aufgezogen?

 

Wie die Beispielfälle zeigen, wurden die Probleme bei Projekten nicht abgestellt, obwohl gleichartige Fälle seit 50 Jahren bekannt sind. Man erinnere sich an die Umsiedlungen im Zusammenhang mit dem Wasserkraftwerk am Narmada Fluss in Indien seit den sechziger Jahren und die öffentliche  Auseinandersetzung.   Dies sind Fälle aus dem letzten Jahrzehnt,  obwohl die Welt-Bank sich  seit 30 Jahren mit den Problemen. befasst.  Es passiert also  immer noch und  noch viel zu oft. Offenbar es wurde nicht immer und effektiv gehandelt,  und die NRO und andere fürchten, dass es nicht besser wird.

 

Wo liegt das eigentliche so hartnäckige Problem? Was sind die Ursachen? Wie kann es immer noch zu solchen nachteiligen Wirkungen kommen  bei aufgeklärten Organisationen voll mit hervorragend qualifizierten und auch vielen sozial- und umweltengagierten Mitarbeitern und trotz aller verabschiedeten und umgsetzen safeguards ? Die immer wiederholten Erklärungen scheinen trotz Änderungen in den Banken immer noch gültig:

  • Falsche Anreize (Mittelvolumen und Zahl der Projekte sind ausschlaggebend für Beurteilung)  andere Anreize für Mitarbeiter immer noch zu schwach.
  • Relativ schwache Stellung der safeguards  im Entscheidungs-System, auch wenn sie in den risikobehafteten Projekte im Team repraesentiert sind und vor den Entscheidungen im Direktorium  gehört werden.   Projektführend sind  die technischen oder regionalen Organisations-Einheiten Techniker, im Zweifel und wenn sie ihre Einsprueche aufrechterhalten, wird ein Kompromiss gesucht, oder der Dissens wird dokumentiert. Wenn  sich solche schwierigen Entscheidungssituationen in den Banken zuspitzen, d.h. die safeguards-Kollegen für Abbruch plädieren, was die Projektteams nicht übergehen können,  und die Projektpartner stur sind,  werden sie zur Chefsache (Präsident wird eingeschaltet, der mit Partnern - oft Regierungen aber auch Investoren Lösungen sucht) und kommen wieder vor das Gremium der Direktoren.  In sehr seltenen Fällen kommt es zum Abbruch des Projekts.
  • Umsetzung der Projekte liegt nicht von den Banken selbst. Nationale Regierungen pochen auf Souveränität.  Im konkreten kritischen Fall über sie hochrangig politischen Druck auf die Führung der Bank aus

 

Beunruhigende Tendenzen  

Diese Ursachen gelten schon lange.   Man geht als Außenstehender von einer stetigen Verbesserung im Sinne von besseren Loesungen aus. Das ist aber nicht gewiss und vermutlich ein Grund, dass die  NRO  jetzt Alarm schlagen. Aktuelle Tendenzen, die sich gegenseitig bedingen,  können sich  als Verschlimmbesserung herausstellen:

  • ·         Druck auf die Banken, weniger Overhead Kosten zu produzieren, das wirkt sich aus :

o   im Einzelprojekt, für deren Prüfung weniger Zeit und Mittel budgetiert werden. 

o   in mehr Standardisierung und  Bündelung von gleichartigen Projekten in einem Land und Sektor; dabei dann gibt es nur Möglichkeit, Sozial- und Umwelt-Verträglichkeit des Standard-Vorbildvorhaben zu prüfen, die anderen nicht mehr;  das erlaubtdann weniger Zugriff bei auftretenden Problemen.

o   in mehr sogenannten Financial Intermediaries- (FI) Krediten der Entwicklungsbanken  an andere Banken (nationale Entwicklungsbanken und Geschäftsbanken);  auf dem Papier der Vergabe-Verträge steht dann, dass die gleichen Standards angewandt werden sollen wie bei den direkten Finanzierungen, was aber nicht überprüfbar ist, allein schon aus Kapazitätsgründen.  Die Entwicklungsbanken arbeiten daher mit den FI zusammen, um vergleichbare safeguard Systeme bei den Intermediaries einzurichten.

o   in mehr Unternehmens- (Corporate) Krediten - und im Fall von IFC und DEG auch Eigenkapitalbeteiligungen an Unternehmen - statt Projektfinanzierung  im Privatsektor-Geschäft. Das führt zu einer ähnlichen  Problemlage beim Monitoring wie bei  FI-Projekten. 

  • Es entstehen konkurrierende Entwicklungsanken mit weicheren Standards, die von potentiellen Kreditnehmern gegen die herkömmlichen ausgespielt werden können.
  • Die Nehmerlaender bauen eigenen safeguard- Systeme (Country safeguard systems) auf.  Sie  werden dabei von den  E-Banken unterstützt. Damit einher geht die Forderung mit dem Argument der Souveränität, dass die Systeme der E-Banken nicht (zusätzlich) angewandt werden brauchen.   Allerdings verfügen erst wenige Länder bisher über ein effektives System.
  • Nach den ersten Erfahrungen mit Ombudsleute und  inspection panels werden in den Banken Regeln geändert, um die entstehenden Konflikte zu begrenzen – und auch Personal-Veränderungen vorgenommen, die  eine Schwächung der effektiven safeguards bedeuten können.
  • ·Grundlegende Reformen gerade in der Weltbankgruppe.  Die öffentlichen Arme (IBRD und IDA) und die Garantiemechanismen der WB sind dabei, ihre als veraltet geltenden safeguards zu reformieren. Dies fällt zusammen mit einer stärkeren Verschränkung mit dem privaten Arm IFC.  Dies könnte dazu führen, dass die safeguard Systeme der IFC für die allgemeinen der ganzen WB-Gruppe zum Vorbild genommen werden.

o   Die safeguard-Systeme der IFC wurden in den vergangenen 10 Jahren erneuert und gelten  als modern und vorbildlich; andere  Entwicklungsbanken und auch  kommerzielle Banken (Signataren der Equator-Principles) orientieren sich daran.

o   Auf dem Papier sehen die safeguards der IFC sehr gut aus. Sie sind schlüssig aufgebaut und umfassend. Sie haben allerdings noch die Besonderheit, dass Sie eine nach-und-nach compliance zulassen, die gemessen wird an Indikatoren während der Projekt-implementation und deren  Monitoring. Auch lassen sie den Projektpartnern mehr Spielraum die Anforderungen zu erfüllen. Hier kann es vorkommen, dass eine partielle compliance sich während der Implementierung nicht verbessert, was dann schwierige Entscheidungen erfordert: macht man trotzdem weiter mit der Finanzierung oder nicht?

o   Die öffentliche Arme der WB also IBRD und IDA, bestehen bisher - jedenfalls im Prinzip - auf einer ex ante compliance, die sich nach den Projektabkommen und Auszahlungsfahrplan richtet. Die Übernahme des IFC Systems würde diese Möglichkeit verwässern, zumal die öffentlichen Arme stärker dem Druck der Nehmer-Länder ausgesetzt sind, die immer auch Garanten der Kredite sind.

 

Die seit Jahrzehnten nicht gelösten Probleme und die beunruhigenden Tendenzen und beobachteten Schritte bilden offenbar eine ungute Mischung aus Sicht der Menschenrechtler. Die Absicherung gegen ungewollte soziale Wirkungen und der Zugriff der Weltbank-Gruppe und anderer Entwicklungsbanken in den Projekten kann offenbar auch wieder schwächer werden. Von der Forderung, dass jedes Entwicklungsprojekt als ein soziales Entwicklungsprojekt konzipiert werden muss, bleibt die Realität nach wie vor weit entfernt.  Das ist wohl der wesentliche Hintergrund für die Kampagne.

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