Stilllegung von Kohlekraftwerken! „Doppelte Dividende“   oder  „signifikante Kosten“ ?

Am selben  Tag wurden von zwei Wirtschaftsforschungsinstituten Studien über die derzeit diskutierte Stilllegung von Kraftwerken zur Senkung der THG Emissionen vorgestellt, die gegensätzliche Positionen zu stützen scheinen.   Wie ist das möglich?

Seit die Umweltministerin Anfang November die forcierte Stilllegung von Kohlekraftwerken als ernsthafte politische Option präsentierte, hat dieses Thema die Energiepolitik beherrscht (vgl.  in meinem blog Konflikt oder Theater). Zu der Thematik stellten am gleichen Tag (19.11.2014) das DIW einerseits sowie ein  Konsortium aus HWWI und r2b andererseits  je eine Studie vor.

Die Studie des DIW kommt zu dem Ergebnis „Abschaltung alter Kohlekraftwerke könnte CO2-Ausstoß in Deutschland um bis zu 23 Millionen Tonnen reduzieren und den Strommarkt stabilisieren“ . Die Leiterin der Studie sagt: „Weil dem Klima und dem Strommarkt gleichzeitig geholfen wäre, winkt sogar eine doppelte Dividende.“  und  die Auftraggeber  Heinrich Böll Stiftung und  European Climate Foundation nehmen das als Unterstützung für ihre Positionen für die schrittweise Abschaltung von Kohlekraftwerken.

Das Konsortium aus HWWI und r2b kommt zu dem Fazit: „ Die hiermit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten wären …  signifikant und würden Erzeuger, Haushalte und Industrie belasten. Als mittelbare Konsequenz würde dies auch mit einem bedeutenden Verlust an Arbeitsplätzen einhergehen.“  Die Studie dient als Argumentationshilfe für  den Auftraggeber BDI:  "Unsere Studie belegt eindeutig: Kraftwerksstilllegungen schädigen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ganz unmittelbar, ohne Nutzen für das Klima."

Zuerst muss man ja Respekt zollen, dass deutsche Wirtschaftsforschungs-Institute heutzutage in der Lage sind in kürzester  Zeit Studien zu aktuellen Themen zu produzieren, die methodisch durchaus anspruchsvoll sind, da sie große Datensätze mit komplexen Modellen zu bearbeiten.  

Angesichts der Qualität der Arbeit kann man sie nicht einfach als Auftragsarbeiten diskreditieren. Man mag bedauern, dass die Institute mit ihrem Renommee Aufträge annehmen, die offensichtlich gezielt von der einen oder anderen Seite im politischen Meinungsbildungsprozess eingesetzt werden sollen. Nichtsdestoweniger  muss man sie ernst nehmen, wenn sie fundiert scheinen. Dann lohnt eine kritische Gegenüberstellung.

Zuerst muss man zwei  Gemeinsamkeiten festhalten.  Beide Studien kommen zu dem Ergebnis, dass i) mit der zusätzlichen Stilllegung von Braun- und Steinkohle-Kapazitäten der Beitrag des Stromsektors zum Erreichen der deutschen Treibhausgas--Emissionssenkungsziele 2020 erreicht werden kann und ii) dass der Großhandelspreis für Strom dann bei etwas über 50 Euro/MWh liegen würde, gegenüber  ca. 36 im Jahre 2014.

Die Stilllegungs-Szenarien, die zu  diesen Ergebnissen führen, scheinen ähnlich,  soweit die bisher veröffentlichten Versionen der Studien das erkennen lassen.  Schon die  bei den  Referenz- bzw. Basis-Szenarien (RS bzw. BS)  sind nicht identisch, da die gemäß Bundesnetzagentur geplanten Stilllegungen und Zubauten von r2b/HWWI nuanciert einbezogen sind, was aber keinen großen Unterschied macht

Das r2b/HWWI nimmt nur ein Scenario (nach dem BMUB Aktionsprogramm benannt)  einer  zusätzlichen Stilllegung von über 10 GW  an (6,6 GW Braunkohle und  3,7 GW Steinkohle).  Dieses erscheint mit dem mittleren  von drei  Szenarien des DIW  (kenntlich als 3S6B) vergleichbar.  

Ein Unterschied  mit großen Konsequenzen für die energiewirtschaftlichen Ergebnisse  liegt in dem Wirkungsmechanismus, der über die eingesetzten Daten und  Modelle der r2b Consulting zum Tragen kommt.  Bei der r2b- Methodologie  wird der Kraftwerkspark der europäischen Nachbarländer mit einbezogen, was dazu führt, dass die  Stromerzeugung in Deutschland im Szenario „Aktionsprogramm“ deutlich niedriger ist als im RS  (um  59 TWh im Jahre 2020) und die Erzeugung im Ausland  um 49 TWh steigt – um 10 TWh soll die Nachfrage sinken.  Im 3S6B Szenario des DIW hingegen kommt es nur zu Verschiebungen im Einsatz deutscher Kraftwerke, mit stark rückläufiger Erzeugung aus Braunkohle  und leichter Steigerung der Erzeugung aus Steinkohle neben dem Zuwachs der Gewinnung aus Erdgas. 

Dies ist der fundamentale Unterschied in den beiden Studien, aus denen die weiteren Diskrepanzen  abgeleitet werden können.  DIW weist auch darauf hin, dass die Wirkungen in Nachbarländern noch zu untersuchen sind.  Das zu tun, kann man nur dringend empfehlen.

Methodisch liegt hier ein Plus bei dem r2b Modell.  Allerdings  heißt das nicht, dass es so kommen muss wie im Aktionsprogramm- Szenario abgebildet. Vor allem ist  die Annahme zu überprüfen,  dass alte Kohle-Anlagen in den Nachbarländern vor allem Polen nicht stillgelegt werden, um Strom nach Deutschland zu  verkaufen, und auch dass sie gegen deutsche Steinkohleanlagen konkurrenzfähig sind.

Wegen der  Verlagerung der Erzeugung ins Ausland sowie eines Nachfragerückganges von  10 TWh im Inland – aufgrund höherer Preise -  kommt das r2b Szenario zu einer starken Senkung der THG Emissionen in DE gegenüber dem RS (59 Mt CO2e).  Das DIW hingegen kommt wegen der Verlagerung auf effizienter Anlagen im Inland bei  ähnlicher Stilllegungskapazität auf nur 23 Mt CO2e. Damit wäre, wie schon gesagt,   das deutsche Klimaschutzziel 2020 erreichbar. Laut r2b aber würden die THG Emissionen im Ausland um über 30 Mt CO2e steigen und den Gesamteffekt mehr als halbieren. Insgesamt in Europa sinken selbst im Aktionsprogramm Szenario von r2b/HWWI per Saldo die THG Emissionen immer noch um etwa die gleiche Größenordnung wie im DIW Szenario.  Da entstünde dann doch ein "Nutzen fuer das Klima".

DIW weist auf  derzeit bestehende Überkapazität  im deutschen Stromsystem als günstige Gelegenheit hin, sie für  gezielte Stilllegungen zu nutzen. Die r2b/HWWA Studie hingegen warnt vor  dem Risiko der Versorgungssicherheit in Deutschland durch die Stilllegungen im Szenario Aktionsprogramm, aufgrund eines simplen Vergleichs der Höchstlast und der gesicherten Leistung im Jahre 2020. Diese Simplizitaet überrascht etwas, da gerade r2b an einer kürzlich vorgestellten Studie zur Versorgungssicherheit für das BMWi federführend beteiligt war, die das Kapazitätsthema sehr komplex bearbeitet hat.  Hier hätte man eine weitaus differenziertere Aussage erwartet.  r2b/HWWI weisen nur kurz darauf hin, dass sie in dieser Kapazitäts-Betrachtung, anders als in der Analyse des Kraftwerksbetriebs,  die Beitrage der Nachbarländer  ausgeblendet hat.  

Ein großer Unterschied  liegt in der Einschätzung der Studien dazu,  welche Teile der Energiewirtschaft bzw. Länder Kosten tragen oder gar profitieren. Die DIW Studie  stellt den deutschen Stromerzeugern in Aussicht, mit den verbleibenden Anlagen bei höheren Großhandelspreisen wieder eine Ergebnisverbesserung zu erzielen. Bei   r2b /HWWI hingegen müssen die Versorger Mengen importieren, sodass der deutschen Stromwirtschaft  zusätzliche Kosten entstehen die nicht durch Kostensenkungen durch Stilllegungen kompensiert werden können. Diese Kosten der Energiewirtschaft werden auf ca. 2 Mrd. Euro pro Jahr taxiert, und kumuliert bis 2030 zu etwa 25 Mrd. Euro.   So gehören die Stromerzeuger bei der  DIW zu den potentiellen Gewinnern,  und gemäß  r2b/HWWA Studie zu den potentiellen Verlierern.  

Einig sind sich die Studien darin, dass die gestiegenen  Großhandelspreise die Industrie treffen.  DIW stellt dann heraus, dass damit die EEG Umlage wegen der hoehern Erlöse für den EE-Strom voraussichtlich sinkt und für Haushalte und andere kleinere Abmehre die steigenden Erzeugungspreise kompensiert. r2b/HWWI weisen darauf nur in einer Fußnote hin, schließen aber Haushalte im Fazit ausdrücklich in den Kreis der von höheren  Kosten Betroffenen  ein (s.o.), was widersprüchlich erscheint.

Was die Auswirkungen für die bezüglich EEG Umlage privilegierten Großabnehmer  betrifft, gehen die Einschätzungen der Wirkungen stark auseinander. DIW weist lediglich darauf hin, dass Großhandelspreise von über 50 Euro/MWh für die Großverbraucher schon in der Vergangenheit galten, und stellt keine weiteren Analysen an.

r2b/HWWI errechnet gesamtwirtschaftliche Wirkungen.  Anhand eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtsmodells  des HWWI mit Wirkungen über Input-Output Rechnungen kommt die Studie zu schwerwiegenden Folgen, gerade auch für energieintensive Branchen in Deutschland.  Für die Ansätze von sektorspezfischen Preis-Sensitivitäten bedient sie sich einer Schätzung aus dem ZEW.  Zunächst errechnet sie Wertschöpfungs-Verluste in praktisch allen Sektoren,  prozentual gering aber nicht unerheblich in den energieintensiven Sektoren.  Umgerechnet in absolute Werte werden die geringen BIP-Differenzen zwischen Aktionsprogramm und Referenz-Szenario zu signifikanten Zahlen.  Dann  bis 2030 kumuliert, kommt ein sehr substantieller Wert von knapp 73 Mrd. Euro  kumulierten BIP-Verluste bis 2030 heraus.  Dann werden aus den sektoralen BIP-Differenzen noch die indirekten Beschäftigungswirkungen errechnet, die sich zu den direkten und indirekten Arbeitsplatzverlusten in den  Kraftwerken und vor allem im  Braunkohlebergbau addieren.  Insgesamt  kommt  r2b/HWWI hier auf knapp 50000 weniger Arbeitsplätze im Jahre 2025.

Wie immer erklären sich die unterschiedlichen Ergebnisse aus den unterschiedlichen Ansätzen, Modellen und Annahmen.  Hier ist die Einbeziehung der Nachbarländer der kritische Schritt.  DIW sollte diesen Schritt rasch nachholen,  um Vergleichbarkeit herzustellen.  Dann ließen sich auch die Annahmen zum Verhalten der Erzeuger und Politik der Nachbarländer und ihre Rückwirkungen besser einschätzen.

Die andere Möglichkeit wäre, dass r2b/HWWI ein paar andere Szenarien rechnet,   bei denen sie  wichtige Annahmen variieren,  z.B. zur Nicht-Stilllegung von Kraftwerken in Polen.  Andere Schlüsselansätze sind offensichtlich die zu den Preis Sensitivitäten der Sektoren.  Es ist schon erstaunlich, dass eine Preisvariation von  7 Euro/MWh  zwischen Szenarien, also 0,7 Eurocent pro kWh  bei einem Preis von ca. 50 Euro/MWh solch erhebliche Wirkungen haben in Branchen wie Metalle, Papier und Pappe und andere.   Auch hier sollte r2b/HWWI mit weiteren Szenarien rechnen, um den möglichen Vorwurf zu entkräften, dass in einer langen Wirkungskette von Kraftwerksstillegungen  über Strompreise bis zu Wertschöpfung und Beschäftigung  eher Annahmen getroffen und Ansätze gewählt werden, die zu  negativen Ergebnis führen, die durch langfristige Kumulation besonders dramatisch erscheinen. 

Das müsste natürlich jemand finanzieren!

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